Trauriger Affe blickt durch Käfiggitter in einem Tierversuchslabor, Symbol für das Leid durch Tierversuche.
Ein Blick, der Bände spricht: Das Leid von Primaten in deutschen und europäischen Tierversuchslaboren.
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Tierversuche sind ein Thema, das emotional tief berührt und gesellschaftlich kontrovers diskutiert wird. Doch sind sie wissenschaftlich überhaupt sinnvoll? Um die Wahrheit über Tierversuche und die Fakten hinter den Labortüren zu beleuchten, haben wir mit zwei Top-Experten gesprochen: Dr. med. vet. Corina Gericke (Tierärztin) und Claus Kronaus vom Verein Ärzte gegen Tierversuche e.V.

In diesem Interview beantworten sie die wichtigsten Fragen: Warum haben Tierversuche Nachteile für den Menschen und eine Fehlerquote von über 90 %? Welche modernen Alternativen zu Tierversuchen wie Multi-Organ-Chips gibt es bereits? Und warum wird trotz besserer Methoden noch immer an Millionen Tieren geforscht? Erhalten Sie augenöffnende Einblicke, warum der Ausstieg aus dem Tierversuch nicht nur ethisch geboten, sondern auch wissenschaftlich überfällig ist.

Was genau ist "Ärzte gegen Tierversuche" und wer steckt dahinter?

Dr. Corina Gericke: Unseren Verein gibt es schon seit 1979, gegründet vom Ärzte-Ehepaar Dr. Herbert und Margot Stiller. Heute haben wir über 4.000 Mitglieder, davon sind etwa ein Viertel Ärztemitglieder. Unser Ziel ist die Abschaffung aller Tierversuche und eine verstärkte Förderung von tierversuchsfreien Methoden sowie die Prävention von Krankheiten. Ich selbst bin seit 1985 für den Verein aktiv und seit 2011 Stellvertretende Vorsitzende.

Claus Kronaus: Ich bin seit 2015 Geschäftsführer und seit 2012 für den Verein aktiv. Wichtig zu wissen ist, dass wir kein reiner Tierschutzverein, sondern ein wissenschaftlicher Verein sind. Unser Vorstand besteht ausschließlich aus Ärzten – sowohl Human- als auch Tiermedizinern –, die wissen, wovon sie sprechen.

Wie viele Tiere werden in Deutschland wirklich für Versuche verwendet?

Dr. Corina Gericke: Die Statistiken werden jährlich veröffentlicht. Für 2023 sprechen wir von rund 2,1 Millionen Tieren in tatsächlichen Versuchen oder für wissenschaftliche Zwecke getöteten Tieren. Dazu gehören über eine Million Mäuse, 160.000 Fische, 100.000 Ratten, tausende Kaninchen, Hunde, Katzen und sogar jedes Jahr um die 1.600 bis 2.000 Affen.

Hinzu kommen die sogenannten „Überschusstiere“, die gezüchtet, aber nicht gebraucht und dann einfach getötet werden. Das kann sein, weil sie das falsche Geschlecht haben, das falsche Alter oder nicht die gewünschte Genveränderung. Das waren zuletzt 1,3 Millionen Tiere. Wir gehen aber davon aus, dass da ziemlich gemauschelt wird, um die Zahlen künstlich zu drücken. Insgesamt sind das über 3,5 Millionen Tiere. Es gibt zudem eine hohe Dunkelziffer, etwa bei wirbellosen Tieren wie Insekten oder Krebsen, die gar nicht gezählt werden.

Dr. Corina Gericke sitzt am Schreibtisch und liest Studien über Tierversuche
Dr. med. vet. Corina Gericke ist stellvertretende Vorsitzende bei Ärzte gegen Tierversuche e.V.

Aber sind Tierversuche nicht unerlässlich, um menschliche Krankheiten zu heilen?

Claus Kronaus: Das ist ein weit verbreiteter Irrglaube. Die Unterschiede zwischen Mensch und Tier in Körperbau und Stoffwechsel sind gewaltig. Eine Maus verträgt zum Beispiel eine Million Mal mehr Bakterien als der Mensch, bevor sie eine Blutvergiftung bekommt. Eine Ratte verträgt 300 Mal mehr Asbest, bevor Krebs entsteht. Selbst Schimpansen, deren Gene zu 96 % mit unseren übereinstimmen, bekommen beispielsweise kein Aids. Diese genetische Ähnlichkeit klingt hoch, aber die Art, wie die Gene aktiviert werden, zusammenspielen, ist komplett unterschiedlich – und darauf kommt es an. Der bekannte Wissenschaftler Thomas Hartung hat es perfekt auf den Punkt gebracht: „Der Mensch ist keine 70-kg-Maus“.

Dr. Corina Gericke: Das Problem ist, dass menschliche Krankheiten im Tierversuch künstlich nachgeahmt werden. Um eine Depression zu simulieren, setzt man eine Maus in ein Wasserglas, bis sie aus Panik aufgibt zu schwimmen – das wird dann als Depression interpretiert. Für einen Schlaganfall wird ein Faden ins Gehirn einer Maus geschoben, um ein Blutgefäß zu verstopfen. Das hat nichts mit der komplexen Krankheitsentstehung beim Menschen zu tun, die über Jahrzehnte von Faktoren wie Ernährung, Stress und Lebenswandel geprägt ist.

Forscherin testet Medikament an Maus in Tierversuchslabor

Wie zuverlässig sind die Ergebnisse aus Tierversuchen für den Menschen?

Claus Kronaus: Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. In der Medikamentenentwicklung scheitern durchschnittlich 92 % aller Wirkstoffe, die im Tierversuch erfolgreich waren, in den klinischen Studien am Menschen. Diese Durchfallquote ist seit über 50 Jahren stabil. Und in der Grundlagenforschung, die ca. die Hälfte aller gemeldeten Tierversuche ausmacht, sieht es mit weit über 99% Fehlerquote sogar noch dramatisch schlechter aus. Das zeigt, dass das Tier kein geeignetes Modell für den Menschen ist.

Es kann sogar gefährlich werden. Es gibt dramatische Fälle, bei denen an Tieren getestete Medikamente bei Menschen lebensgefährliche Nebenwirkungen ausgelöst haben. 2006 wurde in London ein Mittel getestet, das bei gesunden Probanden zu Organversagen und Amputationen führte, obwohl die Dosis nur ein Fünfhundertstel der am Affen getesteten Dosis betrug. Umgekehrt ist es wahrscheinlich, dass uns viele segensreiche Medikamente nie erreichen, weil sie im Tierversuch fälschlicherweise aussortiert werden. Penicillin beispielsweise ist für Kaninchen und andere Nagetiere tödlich, rettet aber Menschenleben, und würde heute nach den gängigen Verfahren wohl keine Zulassung mehr bekommen.

Was sind die modernen, humanrelevanten Alternativen?

Claus Kronaus: Die tierversuchsfreie Forschung boomt! Ein Meilenstein war der Nobelpreis im Jahre 2012 für die Entwicklung von induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen). Mit dieser Technologie können wir erwachsene menschliche Zellen, etwa aus der Haut, dem Blut oder dem Haar, entnehmen und sie in den Zustand von Stammzellen zurückprogrammieren. Daraus können wir dann miniaturisierte menschliche Organe im Labor züchten – sogenannte Organoide. Wir sprechen hier von schlagenden Mini-Herzen oder signalübertragenden Mini-Gehirnen.

Diese Organoide können auf Multi-Organ-Chips platziert werden, die den menschlichen Körper simulieren. Damit können wir Medikamente personalisiert testen und ihre Wirkung sowie Nebenwirkungen präzise an menschlichen Organen der Zielperson analysieren. Eine aktuelle US-Studie hat gezeigt, dass solche Leber-Chips die Giftigkeit von Medikamenten mit 87-prozentiger Genauigkeit vorhersagen können – während Tierversuche komplett versagen. Das ist die Medizin der Zukunft!

Claus Kronaus von Ärzte gegen Tierversuche e.V. mit seinem Hund Pepsi
Claus Kronaus von Ärzte gegen Tierversuche e.V. mit seinem Hund Pepsi

Wenn die Alternativen so viel besser sind, warum gibt es dann immer noch Tierversuche?

Dr. Corina Gericke: Das ist eine Mischung aus Tradition, Gesetzeslage und Karriere-Interessen. Der Tierversuch ist über 150 Jahre zu einem Dogma in der Wissenschaft geworden. Um Karriere zu machen, müssen Wissenschaftler publizieren, und fast alle Fachjournale sind auf Tierversuchsstudien geeicht. Tierversuchsfreie Forschung hat es sehr viel schwerer, veröffentlicht zu werden.

Eine weitere große Hürde ist die langwierige Anerkennung von tierversuchsfreien Methoden. Etwa 17 % der Tierversuche sind für die Zulassung von Chemikalien oder Medikamenten gesetzlich vorgeschrieben. Neue, tierversuchsfreie Methoden müssen einen jahrelangen, teuren Validierungsprozess durchlaufen, bei dem sie beweisen müssen, dass sie die gleichen Ergebnisse liefern wie der alte, schlechte Tierversuch. Der Tierversuch selbst musste sich einer solchen Validierung nie stellen.

Multi-Organ-Chip - dieses kleine Modell kann künftig Tierversuche ersetzen
Multi-Organ-Chips können die Zukunft der Forschung sein

Was gibt euch Hoffnung für die Zukunft?

Claus Kronaus: Es tut sich enorm viel, vor allem in den USA! Im Dezember 2022 hat Präsident Joe Biden den FDA Modernization Act unterzeichnet. Dieses Gesetz erlaubt es, in den USA Medikamente auch ohne Tierversuche zuzulassen. Das ist eine Revolution! Die amerikanische Zulassungsbehörde FDA erstellt jetzt eine konkrete Roadmap zum Ausstieg aus dem Tierversuch in der Medikamentenentwicklung.

Dr. Corina Gericke: Die größte US-Forschungsförderinstitution, die NIH, hat zudem im Juli 2025 angekündigt, keine Gelder mehr für Forschungsprojekte zu vergeben, die ausschließlich auf Tierversuchen basieren. Die Vize-Direktorin sagte es klar: „Man kann die Verbesserung der Bevölkerungsgesundheit nicht mit veralteten Tierversuchen erreichen“. Diese Entwicklung wird auch Europa unter Druck setzen.

Claus Kronaus: Auch große Pharmafirmen wie Merck haben die Zeichen der Zeit erkannt. Merck hat öffentlich erklärt, Vorreiter für eine tierversuchsfreie Medikamentenentwicklung sein zu wollen. Die Chefin von Merck, Belén Garijo, rechnet damit, dass dies nur noch wenige Jahre, keine Jahrzehnte mehr dauern wird. Die Zukunft wird tierversuchsfrei sein, davon sind wir fest überzeugt.

So sah der Schädel von Affe Jara aus, nachdem sie immer wieder für Experimente in der Hirnforschung am MPI gequält wurde
So sah der Schädel von Affe Jara aus, nachdem sie immer wieder für Experimente in der Hirnforschung am MPI gequält wurde

Wie kann sich jeder Einzelne engagieren?

Dr. Corina Gericke: Jede Stimme zählt! Man kann unsere Kampagnen unterstützen und Petitionen unterzeichnen. Die Europäische Bürgerinitiative „Save Cruelty-Free Cosmetics“, die 1,2 Millionen Unterschriften gesammelt hat, zeigt, wie viel wir gemeinsam bewegen können. Dieser Erfolg hat dazu geführt, dass die EU nun an einer Roadmap zum Ausstieg aus den Chemikalien-Tierversuchen arbeitet.

Claus Kronaus: Natürlich sind wir auch auf finanzielle Unterstützung angewiesen, um unsere wissenschaftliche Aufklärungsarbeit leisten zu können. Spenden sind wichtig, aber noch besser sind Mitgliedschaften, da sie uns langfristige Planungssicherheit geben. Jeder kann bei uns Mitglied werden, man muss kein Arzt sein. Genau jetzt ist der perfekte Zeitpunkt, sich zu engagieren, denn wir stehen an der Schwelle zu einem riesigen Wandel. Seid dabei!

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